lunedì 23 dicembre 2013

SKDP/26/003-6. § 26. Guy de Maupassant: “Rosa”.


SKDP/25/003-5. § 25. Peter Christen Asbjørnsen: “Die Puppe im Gras”.

Home / 2426/ Lessico
Peter Christen Asbjørnsen
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio in lingua tedesca, tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Progetto Gutenberg e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 003/5. - Nostra numerazione del Brano: 25. Reader: Herr Klugbeisser / download  di “Die Puppe im Gras” (5).  Etext: Gutenberg/Puppe  - Dizionari: Dicios; Coniugazione verbi: Verbix.

§ 25. Die Puppe im Gras
Peter Christen Asbjørnsen
(1812-1885)

 Es war einmal ein König, der hatte zwölf Söhne; und als sie groß geworden waren, sprach er zu ihnen, sie sollten in die weite Welt hinausziehen und sich eine Frau suchen; aber sie müsse spinnen, weben und ein Hemd an einem Tag nähen können, sonst wolle er sie nicht zur Schwiegertochter. Jeder Sohn bekam ein Pferd und eine ganz neue Rüstung; und so machten sich alle auf, um eine Frau zu finden. Als sie aber eine Strecke zurückgelegt hatten, sagten sie, den jüngsten, den Aschenper, wollten sie nicht weiter mitnehmen, denn er tauge ja doch zu nichts.

Ja, da mußte Aschenper nun zurückbleiben und wußte gar nicht, was er anfangen oder wohin er sich wenden sollte. Da wurde er so traurig, daß er vom Pferd stieg, sich ins Gras setzte und weinte.

Als er ein Weilchen gesessen hatte, bewegte sich plötzlich ein Grasbüschel, und eine kleine, weiße Gestalt trat hervor; als sie näherkam, erkannte Aschenper, daß es ein niedliches, zartes Mädchen war, aber winzig klein. Es trat auf ihn zu und fragte, ob er nicht zu ihm kommen und das Püppchen im Gras besuchen wolle. O doch, das wollte er, und so ging er mit. Als er sich zu ihr niederbeugte, saß die Puppe im Gras auf einem winzigen Stuhl, und sie war wirklich schön und herausgeputzt. Nun fragte sie Aschenper, wohin er unterwegs sei und warum er diese Reise mache.

Da erzählte er ihr, sie seien zwölf Brüder; der König, ihr Vater, habe jedem Pferd und Rüstung geschenkt und gesagt, sie sollten hinaus in die Welt und sich eine Frau suchen, die weben, spinnen und an einem Tag ein Hemd nähen könne.

»Wolltest du das tun und meine Frau werden, will ich nicht länger weiterziehen!« sprach Aschenper zur Puppe im Gras. Ach ja, das wollte sie gern, machte sich sogleich an die Arbeit und fing an zu spinnen und zu weben. Und sie nähte das Hemd an einem Tag fertig. Allerdings war es so schrecklich klein, nicht länger als so...

Mit diesem Hemd eilte Aschenper nun heim. Als er es aber seinem Vater zeigte, schämte er sich, weil es eben so klein war. Der König aber sagte, er könne das Mädchen ruhig heiraten. Da fuhr Aschenper natürlich lustig und vergnügt zurück, um seine Herzliebste heimzuholen. Als er bei der Puppe im Gras anlangte, wollte er sie zu sich aufs Pferd heben; aber nein, das wollte sie nicht; in einem Silberlöffel wollte sie fahren, bespannt mit zwei Schimmeln. So reisten sie denn los: er auf dem Pferd und sie im silbernen Löffel; aber die Schimmel, die sie zogen, waren nichts anderes als zwei weiße Mäuschen. Aschenper ritt immer auf der einen Seite des Wegs, denn er hatte große Angst, sein Pferd könne auf die Braut treten, die ja nur ein so winziges Wesen war. Als sie eine Wegstrecke gereist waren, kamen sie zu einem großen Wasser; da scheute Aschenpers Pferd, sprang auf die andere Wegseite und warf den Löffel um, so daß die Puppe im Gras ins Wasser fiel. Aschenper wurde ganz traurig, wußte er doch nicht, wie er sie retten sollte; aber nicht lange, da tauchte ein Meermann mit ihr auf, und nun war sie so groß wie ein erwachsener Mensch und weit schöner als zuvor. Da setzte Aschenper sie vor sich aufs Pferd und ritt heim.

Als er dort ankam, waren auch schon seine anderen Brüder, jeder mit seiner Braut, eingetroffen. Aber die waren allesamt so häßlich, bösartig und widerwärtig, daß sie sich schon unterwegs ständig mit ihren Bewerbern gezankt hatten. Auf den Köpfen trugen sie seltsame, mit Teer und Ruß beschmierte Hüte, und davon war ihnen einiges ins Gesicht getröpfelt, so daß sie noch greulicher und abscheulicher aussahen. Wie nun die Brüder Aschenpers Liebste zu Gesicht bekamen, wurden sie allesamt sehr neidisch auf ihn. Der König aber war so von beiden angetan, daß er alle anderen einfach vor die Tür setzte. Und danach hielt Aschenper Hochzeit mit der Puppe im Gras. Von da an lebten sie zufrieden und vergnügt eine lange, lange Zeit; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.

SKDP/24/003-4. § 24. Peter Christen Asbjørnsen: “Die Prinzessin, die keiner zum Schweigen bringen konnte”.

Home / 2325/ Lessico
Peter Christen Asbjørnsen
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio in lingua tedesca, tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Progetto Gutenberg e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 003/4. - Nostra numerazione del Brano: 24. Reader: Herr Klugbeisser / download  di “Die Prinzessin” (4).  Etext: Gutenberg/Prinzessin  - Dizionari: Dicios; Coniugazione verbi: Verbix.

§ 24. Die Prinzessin, 
die keiner zum Schweigen bringte konnte
Peter Christen Asbjørnsen
(1812-1885)

 Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, die war so schlau und spitzfindig, daß niemand sie zum Schweigen bringen konnte. Da setzte der König einen Preis aus und ließ bekanntmachen: Der, welcher es könnte, bekäme die Prinzessin und das halbe Königreich.

Drei Brüder, die das gehört hatten, beschlossen, ihr Glück zu versuchen. Zuerst machten sich die beiden älteren auf, weil sie sich für die Klügeren hielten. Aber sie konnten bei der Prinzessin gar nichts ausrichten und mußten mit einem blauen Auge abziehen.

Da machte sich danach auch der Aschenper auf. Als er ein Stückchen gegangen war, fand er eine Weidenrute am Wege und nahm sie mit. Wieder nach einer Weile fand er eine Scherbe, die gehörte zu einer alten Schüssel, und die nahm er auch mit. Als er noch weiter gewandert war, fand er einen toten Star und danach ein krummes Bockshorn.

Nicht lange, so hob er noch ein krummes Bockshorn auf. Und als er über das Feld zum Königshof marschierte, wo Dünger ausgestreut war, fand er noch eine ausgetretene Schuhsohle. Alle Dinge nahm er mit aufs Schloß, und schon trat er bei der Prinzessin ein.

»Guten Tag«, rief er.

»Gleichfalls!« sprach sie und verzog das Gesicht.

»Könnte man mir hier meinen toten Star braten?« fragte er.

»Ich habe eher angst, daß er platzen könnte!« rief die Prinzessin.

»Ach, das hat keine Not! Dann binde ich diese Weidenrute darum!« rief der Bursche und holte das Reis hervor.

»Aber dann wird das Fett herauslaufen!« sagte die Prinzessin.

»I wo, dann halte ich dieses hier unter!« sprach der Aschenper und zeigte ihr die große Scherbe von der Schüssel.

»Du machst es mir so krumm, du!« sagte die Prinzessin.

»Ich mache es nicht krumm, sondern es ist krumm!« erwiderte der Bursche und nahm das eine Horn hervor.

»Nein, so etwas Ähnliches habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen!« rief die Prinzessin.

»Hier siehst du etwas Ähnliches«, sprach der Bursche und holte das andere Bockshorn hervor.

»Ich glaube, du bist ausgegangen, um mich zum Schweigen zu bringen«, sprach die Prinzessin.

»Nein, ich bin nicht ausgegangen«, sagte der Bursche und zeigte ihr die Schuhsohle. Hierauf wußte die Prinzessin nichts mehr zu antworten. – »Nun bist du mein!« rief der Bursche, und darauf kriegte er wirklich die Prinzessin und das halbe Königreich.

SKDP/23/003-3. § 23. Peter Christen Asbjørnsen: “Per Gynt”

Home / 2224/ Lessico
Peter Christen Asbjørnsen
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio in lingua tedesca, tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Hekaya.de e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 003/3. - Nostra numerazione del Brano: 23. Reader: Herr Klugbeisser / download  di “Per Gynt” (3).  Etext: Hekaya/Per Gynt  - Dizionari: Dicios; Coniugazione verbi: Verbix.

§ 23. Per Gynt
Peter Christen Asbjørnsen
(1812-1885)

  In alten Zeiten lebte in Quam ein Schütze, der hieß Per Gynt. Er lag beständig droben im Gebirge und schoss dort Bären und Elche, denn damals gab es noch mehr Wälder auf den Bergen, und in ihnen hielten sich derartige Untiere auf. In einem Jahre nun, spät im Herbst, nachdem das Vieh schon längst von den Bergweiden herabgetrieben war, wollte Per Gynt wieder einmal hinauf ins Gebirge. Mit Ausnahme von drei Sennerinnen hatten schon alle Hirtenleute das Gebirge verlassen. Als Per Gynt die Hövringalm erreichte, wo er in einer Sennhütte übernachten wollte, war es schon so dunkel, dass er die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Da fingen die Hunde plötzlich so fürchterlich zu bellen an, dass es Per Gynt ganz unheimlich zumute wurde. Plötzlich stieß sein Fuß an etwas an, und als er es befühlte, war es kalt und groß und schlüpfrig, da er aber nicht vom Wege abgekommen zu sein glaubte, konnte er sich gar nicht erklären, was das sein könnte; aber es kam ihm gar nicht geheuer vor.

»Wer ist denn das?« fragte Per Gynt, denn er fühlte, dass es sich bewegte.

»Ei, ich bin der Böig, der Krumme,« lautete die Antwort.

Damit war aber Per Gynt so klug wie vorher. Er ging nun daran entlang, »denn schließlich muss ich doch daran vorbeikommen,« dachte er.

Im Weitergehen stieß er plötzlich wieder an etwas, und als er es anfühlte, war es wieder kalt und groß und schlüpfrig.

»Wer ist das?« fragte Per Gynt.

»Ich bin der Krumme,« lautete aufs neue die Antwort.

»Ei, ob du gerade oder krumm bist, du sollst mich doch weiterlassen,« sagte Per Gynt, denn er merkte, dass er im Kreise herumging und der Krumme sich um die Sennhütte herumgeschlängelt hatte. Bei diesen Worten schob sich der Krumme ein wenig auf die Seite, so dass Per Gynt an die Sennhütte hingelangen konnte. Als er hineinkam, war es da drinnen nicht heller als draußen; er stolperte und tastete an den Wänden umher, denn er wollte seine Flinte abstellen und seine Jagdtasche ablegen. Aber während er so suchend umhertappte, fühlte er wieder das Kalte, Große und Schlüpfrige.

»Wer ist denn das nun?« rief Per Gynt.

»Ach, ich bin der große Krumme,« lautete die Antwort. Und wohin er auch fasste, und wohin er den Fuß setzte, überall fühlte Per Gynt den Ring, den der Krumme um ihn gezogen hatte.

»Hier ist nicht gut sein,« dachte Per Gynt, »weil dieser Krumme ebenso gut hier drinnen als draußen ist; aber ich werde diesem Ruhestörer bald ein Ende machen.« Er nahm seine Flinte, ging wieder hinaus und tastete an dem Krummen entlang, bis er den Kopf fand.

»Wer bist du denn eigentlich?« fragte er.

»Ach, ich bin der große Krumme von Etnedal,« sagte der große Troll. Da machte Per Gynt kurzen Prozess und schoss ihm drei Kugeln mitten durch den Kopf.

»Schieß noch einmal!« rief der Krumme. Aber Per Gynt wusste es besser, denn wenn er noch einmal geschossen hätte, wäre die Kugel auf ihn selbst zurückgeprallt. Als dies getan war, fassten Per Gynt und die Hunde fest zu und zogen den großen Troll aus der Sennhütte hinaus, damit sie es sich in der Hütte bequem machen könnten. Währenddessen lachte und höhnte es von allen Bergen ringsum.

»Per Gynt zog viel, aber die Hunde zogen mehr!« ertönte es.

Am Morgen wollte Per Gynt hinaus auf die Jagd. Als er tief in die Berge hineinkam, sah er ein Mädchen, das Schafe und Ziegen über einen Berggipfel trieb. Als er aber den Gipfel erreicht hatte, war das Mädchen mit seiner Herde verschwunden, und Per Gynt sah nichts als ein großes Rudel Bären.

»Ich habe doch noch nie Bären in Rudeln beisammen gesehen,« dachte Per Gynt. Als er aber näher kam, waren bis auf einen einzigen alle verschwunden. Da klang es von einem Berge dicht neben ihm: »Nimm in acht den Eber dein,
Per Gynt steht draußen
Mit dem Stutzen sein!«
»Ach, dann widerfährt Per Gynt ein Unglück, nicht aber meinem Eber, denn er hat sich heute nicht gewaschen,« klang es aus dem Berge. Schnell wusch sich Per Gynt die Hände mit seinem Wasser und schoss den Bären tot. In den Bergen erhob sich ein schallendes Gelächter.

»Du hättest auf deinen Eber acht geben sollen,« rief die eine Stimme.

»Ich habe nicht daran gedacht, dass er die Waschschüssel zwischen den Beinen hat,« erwiderte die andere.

Per Gynt zog dem Bären die Haut ab und vergrub den Körper im Geröll; aber den Kopf und das Fell nahm er mit. Auf dem Rückweg traf er mit einem Bergfuchs zusammen.

»Sieh mein Lämmchen, wie fett du bist!« rief es von einem Hügel her. »Seht nur, wie hoch Per Gynt den Stutzen trägt!« tönte es von einem andern Hügel, als Per Gynt die Flinte zum Schießen an die Wange legte und den Fuchs erschoss. Er zog auch diesem den Balg ab und nahm ihn mit; und als er an der Sennhütte ankam, nagelte er die Köpfe mit aufgesperrtem Rachen außen an die Wand. Darauf machte er Feuer und stellte einen Suppentopf darüber; aber es rauchte so fürchterlich, dass Per Gynt kaum die Augen offen halten konnte, und er musste deshalb eine in der Wand befindliche Luke öffnen. Da kam gleich ein Troll herbei und steckte seine Nase durch die Luke herein, die Nase aber war so lang, dass sie bis an den Schornstein reichte.

»Da kannst du einmal ein ordentliches Riechhorn sehen,« sagte er.

»Und du kannst Suppe versuchen,« sagte Per Gynt, und goss ihm den ganzen Topf Suppe über die Nase. Der Troll stürzte davon und jammerte laut; aber ringsherum von allen Höhen lachte und spottete und ertönte es: »Suppenrüssel, Suppenrüssel !«

Hierauf war eine Weile alles still; doch dauerte es nicht lange, da erhob sich draußen wieder Lärm und Getöse. Per Gynt sah hinaus, und da erblickte er einen mit Bären bespannten Wagen; der große Troll wurde aufgeladen, und dann ging es hinauf ins Gebirge mit ihm. Während Per Gynt dem Wagen noch nachsah, wurde plötzlich ein Eimer Wasser durch den Schornstein herabgegossen: das Feuer erlosch, und Per Gynt saß im Dunkeln. Da begann es in allen Ecken zu lachen und zu spotten, und eine Stimme sagte: »Jetzt wird es Per Gynt gerade so gehen wie den Sennerinnen in der Val-Hütte.«

Per Gynt zündete das Feuer wieder an, rief seine Hunde herbei, verschloss die Sennhütte und ging weiter nach Norden bis zu der Val-Hütte, in der die drei Sennerinnen waren. Als er eine Strecke zurückgelegt hatte, sah er ein Feuer lodern, als wenn die ganze Val-Hütte in hellen Flammen stünde, und in demselben Augenblick stieß er auf ein Rudel Wölfe, von denen er die einen niederschoss und die andern erschlug. Als er die Val-Hütte erreicht hatte, war es da stockfinster und von einer Feuersbrunst keine Spur zu entdecken, aber es waren vier fremde Männer in der Hütte, die die Sennerinnen belästigten; das waren vier Bergtrolle, die hießen Gust i Väre, Tron Valjeldet, Tjöstöl Aabakken und Rolf Eldförpungen. Gust i Väre stand vor der Tür und sollte Wache halten, während die andern bei den Sennerinnen drinnen waren und zudringlich werden wollten. Per Gynt schoss auf Gust i Väre, verfehlte ihn aber, und da lief Gust i Väre davon. Als dann Per Gynt in die Stube hineinkam, waren die Sennerinnen in großer Not; zwei von ihnen waren ganz außer sich vor Schrecken und flehten zu Gott um Hilfe und Rettung, die dritte aber, die man die tolle Kari nannte, hatte keine Angst. Sie sagte, sie sollten nur kommen, sie hätte wirklich Lust zu sehen, ob solche Kerle auch Schneid hätten. Als aber die Trolle merkten, dass Per Gynt im Zimmer war, fingen sie zu jammern an und sagten zu Eldförpungen, er solle Feuer anmachen. In demselben Augenblick fielen die Hunde über Tjöstöl Aabakken her und warfen ihn kopfüber auf den Herd, dass Asche und Funken umherstoben.

»Hast du meine Schlangen gesehen, Per Gynt?« fragte Tron Valjeldet - so nannte er die Wölfe.

»Ja, und nun sollst du denselben Weg gehen wie deine Wölfe!« rief Per Gynt und erschoss ihn. Dann schlug er Tjöstöl Aabakken mit dem Flintenkolben tot; aber Eldförpungen war durch den Schornstein entflohen. Nachdem Per Gynt dieses getan hatte, begleitete er die Sennerinnen nach ihrem Dorfe, denn sie wagten nun nicht länger in der Hütte zu bleiben.

Als nun die Weihnachtszeit herankam, war Per Gynt wieder unterwegs. Er hatte von einem Hof auf Dovre gehört, wo sich am Christabend so viele Trolle einfinden sollten, dass sich die Bewohner flüchten und auf anderen Höfen Unterkunft suchen müssten: dieses Gehöft wollte Per Gynt aufsuchen, denn es gelüstete ihn, diese Trolle zu sehen. Er zog zerrissene Kleider an, nahm einen zahmen weißen Bären, der ihm zu eigen gehörte, sowie einen Pfriemen, etwas Pech und Draht mit. Als er den Hof erreicht hatte, ging er ins Haus hinein und bat um Obdach.

»Gott steh uns bei!« sagte der Mann. »Wir können dir kein Obdach geben, wir müssen selbst den Hof verlassen, denn an jedem Heiligen Abend wimmelt es hier von Trollen.«

Aber Per Gynt meinte, er würde das Haus schon von den Trollen säubern. So wurde ihm erlaubt, dazubleiben, und er bekam eine Schweinehaut noch obendrein. Darauf legte sich der Bär hinter den Schornstein, Per holte Pech, Pfriemen und Draht hervor und machte sich daran, aus der ganzen Schweinehaut einen einzigen großen Schuh zu machen. Als Schnürband zog er einen dicken Strick hindurch, so dass er den Schuh rund herum zuschnüren konnte, und überdies hatte er noch zwei Stöcke bereit. Kaum war er fertig, da kamen die Trolle auch schon mit Fiedeln und Spielleuten dahergezogen, und die einen tanzten, die anderen aßen von dem Weihnachtsessen, das auf dem Tische stand, einige brieten Speck, andere brieten Frösche und Kröten und ähnliches ekelhaftes Zeug, dieses Weihnachtsessen hatten sie selbst mitgebracht. Inzwischen bemerkten einige den von Per Gynt verfertigten Schuh. Da er für einen großen Fuß bestimmt zu sein schien, wollten die Trolle ihn anprobieren, und als jeder von ihnen einen Fuß hineingestellt hatte zog Per Gynt den Schuh zu, zwängte einen Stock hinein und schnürte ihn so stark zu, dass alle miteinander in dem Schuh festsaßen. Aber jetzt streckte der Bär die Nase vor und schnupperte nach dem Braten hin.

»Möchtest du Kuchen haben, mein weißes Kätzchen?« sagte einer der Trolle und warf dem Bären einen noch brennend heißen gebratenen Frosch in den Rachen.

»Kratze und schlage, Meister Petz!« rief Per Gynt. Da wurde der Bär so zornig, dass er auf die Trolle losfuhr und nach allen Seiten Hiebe austeilte und sie kratzte. Und Per Gynt schlug mit dem anderen Stock in den Haufen hinein, wie wenn er allen den Schädel einschlagen wollte. Da mussten die Trolle die Flucht ergreifen; Per Gynt aber blieb da und schmauste die ganze Weihnachtszeit über von dem Weihnachtsessen, und nun hörte man viele Jahre lang nichts mehr von den Trollen. Der Hofbauer aber hatte eine weiße Stute; da gab ihm Per den Rat, von dieser Stute Füllen aufzuziehen, diese dann in den Bergen herumstreifen und sich da vermehren zu lassen.

Nach vielen Jahren war die Weihnachtszeit wieder einmal vor der Tür. Der Hofbauer war im Walde und fällte Holz zum Feste. Da kam ein Troll herbei und rief ihm zu: »Hast du deine große weiße Katze noch?«

»Ja, sie liegt daheim hinter dem Ofen,« sagte der Mann, »und sie hat sieben Junge bekommen, die noch viel größer und besser sind als sie selbst.«

»Dann kommen wir nie wieder zu dir!« rief der Troll.

SKDP/22/003-2. § 22. Wilhelm Busch: “Fink und Frosch”

Home / 2123/ Lessico
Wilhelm Busch (1878)
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Wihelm Busch Seiten e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 003/2. - Nostra numerazione del Brano: 23. Reader: Dirk Weber / download  di “Fink und Frosch” (2).  Etext: Wihelm Busch Seiten/Fink  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Fink und Frosch
Wilhelm Busch
(1832-1908)

 Es gibt noch ein zweites Gedicht mit dem Titel "Fink und Frosch" aus dem Nachlass von Wilhelm Busch:

a. Fink und Frosch

Im Apfelbaume pfeift der Fink
Sein: pinkepink!
Ein Laubfrosch klettert mühsam nach
Bis auf des Baumes Blätterdach
Und bläht sich auf und quackt: »Ja ja!
Herr Nachbar, ick bin och noch da!«

Und wie der Vogel frisch und süß
Sein Frühlingslied erklingen ließ,
Gleich muß der Frosch in rauhen Tönen
Den Schusterbaß dazwischen dröhnen.

»Juchheija heija!« spricht der Fink.
»Fort flieg ich flink!«
Und schwingt sich in die Lüfte hoch.

»Wat!« ruft der Frosch, »Dat kann ick och!«
Macht einen ungeschickten Satz,
Fällt auf den harten Gartenplatz,
Ist platt, wie man die Kuchen backt,
Und hat für ewig ausgequackt.

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Geklettert ist auf einen Baum,
Schon meint, daß er ein Vogel wär,
So irrt sich der.

b. Fink und Frosch

Auf leichten Schwingen frei und flink
Zum Lindenwipfel flog der Fink
Und sang an dieser hohen Stelle
Sein Morgenlied so glockenhelle.

Ein Frosch, ein dicker, der im Grase
Am Boden hockt, erhob die Nase,
Strich selbstgefällig seinen Bauch
Und denkt: Die Künste kann ich auch.

Alsbald am rauhen Stamm der Linde
Begann er, wenn auch nicht geschwinde,
Doch mit Erfolg emporzusteigen,
Bis er zuletzt von Zweig zu Zweigen,
Wobei er freilich etwas keucht,
Den höchsten Wipfelpunkt erreicht
Und hier sein allerschönstes quaken
Ertönen läßt aus vollen Backen.

Der Fink, dem dieser Wettgesang
Nicht recht gefällt, entfloh und schwang
Sich auf das steile Kirchendach.

Wart, rief der Frosch, ich komme nach.
Und richtig ist er fortgeflogen,
Das heißt, nach unten hin im Bogen,
So daß er schnell und ohne Säumen,
Nach mehr als zwanzig Purzelbäumen,
Zur Erde kam mit lautem Quak,
Nicht ohne großes Unbehagen.

Er fiel zum Glück auf seinen Magen,
Den dicken, weichen Futtersack,
Sonst hätt er sicher sich verletzt.

Heil ihm! Er hat es durchgesetzt.

SKDP/21/003-1. § 21. Fyodor Dostoyevsky: “Christbaum und Hochzeit”

Home / 2022/ Lessico
Fyodor Dostoyesky (1872)
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Gutenberg Spiegel e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 003/1. - Nostra numerazione del Brano: 20. Reader: Herr Klugbeisser / download  di “Christbaum und Hochzeit” (1).  Etext: Gutenberg Spiegel/Dostoyesky  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Christbaum und Hochzeit
Fyodor Dostoyevsky
(1821-1881)

Neulich sah ich eine Hochzeit ... doch nein! Ich will Ihnen lieber von einer Christbaumfeier erzählen. Die Hochzeit war schön; sie gefiel mir sehr, aber die andere Feier war noch schöner. Ich weiß nicht warum, doch als ich die Hochzeit sah, mußte ich an die Christbaumfeier denken. Diese sah ich aber bei folgender Gelegenheit. Vor genau fünf Jahren war ich am Sylvesterabend zu einem Kinderball eingeladen, Der Gastgeber war ein sehr bekannter Geschäftsmann mit viel Verbindungen, Bekanntschaften und Intrigen, so daß der Kinderball wohl mehr ein Vorwand für die Eltern war, zusammenzukommen, um auf eine scheinbar harmlose und zufällige Weise von andern, wichtigeren Dingen zu sprechen. Ich war in die Gesellschaft ganz zufällig hineingeraten, hatte keinerlei Beziehungen zu den interessanten Dingen, die da besprochen wurden, und konnte daher den Abend ganz unabhängig verbringen. Da war noch ein Herr anwesend, wohl auch ein Fremder in der Gesellschaft, der gleich mir ganz zufällig zu dem Familienfeste gekommen war ... Er fiel mir vor allen andern in die Augen. Es war ein schlanker, hagerer Herr, von sehr solidem Äußern und sehr anständig gekleidet. Offenbar interessierten ihn die Freuden des Festes und das Familienglück sehr wenig; sobald er in eine Ecke ging und sich unbeobachtet glaubte, hörte er sofort zu lächeln auf und zog seine schwarzen dicken Brauen zusammen. Außer den Hausherrn kannte er niemand von der Gesellschaft. Man sah ihm an, daß er sich tödlich langweilte, doch entschlossen war, die Rolle eines heiteren und fröhlichen Gastes bis ans Ende durchzuhalten. Später erfuhr ich, daß dieser Herr aus der Provinz gekommen war, um in der Hauptstadt irgendein sehr wichtiges und schwieriges Geschäft abzuwickeln, daß er einen Empfehlungsbrief an den Gastgeber mitgebracht hatte, daß dieser letztere ihn durchaus nicht con amore protegierte und ihn nur aus Höflichkeit zu seinem Kinderball geladen hatte. Karten spielte man nicht, eine Zigarre wurde ihm nicht angeboten, niemand zog ihn ins Gespräch – vielleicht weil man den Vogel gleich an den Federn erkannt hatte, und so war mein Herr genötigt, um mit seinen Händen nur etwas anzufangen, den ganzen Abend seinen Backenbart zu streicheln. Dieser Backenbart war aber wirklich außergewöhnlich schön. Doch er streichelte ihn so eifrig, daß man bei seinem Anblick entschieden denken mußte, der Backenbart sei zuerst erschaffen worden, und dann erst der Herr, nur um ihn zu streicheln.

Außer dieser Gestalt, die am Familienglück des Hausherrn (dieser hatte übrigens sechs wohlgenährte kleine Söhne) auf die angedeutete Weise teilnahm, erregte noch ein anderer Herr mein Gefallen. Dieser war ganz anders geartet. Er war nämlich eine Persönlichkeit. Man nannte ihn Julian Mastakowitsch. Beim ersten Blick konnte man erkennen, daß er hier Ehrengast war und in denselben Beziehungen zum Hausherrn stand, wie dieser letztere zu dem Herrn mit dem Backenbart. Der Herr und die Dame des Hauses sagten ihm unzählige Komplimente, machten ihm den Hof, schenkten ihm eifrig vom Besten ein und stellten ihm alle anderen Gäste vor; doch ihn selbst stellte man niemandem vor. Ich merkte, wie in die Augen des Hausherrn Freudentränen traten, als dieser Gast meinte, er hätte selten einen Abend so angenehm verbracht wie diesen. Eine solche Persönlichkeit flößt mir immer einige Angst ein, und darum zog ich mich, nachdem ich die Kindergesellschaft genügend bewundert hatte, in einen kleinen Salon zurück, der ganz leer war, und setzte mich in eine Efeulaube, welche fast die Hälfte des Zimmers einnahm.

Die Kinder waren ganz außerordentlich lieb und wollten, trotz aller Ermahnungen der Gouvernanten und Mütter, um keinen Preis den Erwachsenen gleichen. Sie plünderten in einem Augenblick den ganzen Weihnachtsbaum bis zum letzten Bonbon und zerbrachen die Hälfte der Spielsachen noch bevor sie erfahren hatten, für wen jede einzelne bestimmt war. Besonders nett war ein Knabe mit Lockenkopf und schwarzen Augen, der mich einigemal mit seinem hölzernen Gewehr erschießen wollte. Noch mehr fiel aber seine Schwester auf, ein Mädchen von etwa elf Jahren, lieblich wie ein Engel, still und verträumt, blaß, mit großen versonnenen Augen. Die andern Kinder hatten sie irgendwie beleidigt, und darum zog sie sich in den Salon zurück, wo ich saß, und begann in einem Winkel mit ihrer Puppe zu spielen. Die Gäste zeigten mit großem Respekt auf einen reichen Branntweinpächter, der ihr Vater war, und jemand bemerkte im Flüsterton, daß für sie als Mitgift bereits dreimalhunderttausend Rubel zurückgelegt seien. Ich wandte mich um, um mir die Leute anzusehen, die sich für diese Mitteilung besonders interessierten, und mein Blick fiel auf Julian Mastakowitsch, der, die Hände im Rücken und den Kopf etwas zur Seite geneigt, besonders aufmerksam dem Geschwätz der übrigen Herren lauschte. Später mußte ich die Weisheit bewundern, die der Hausherr bei der Verteilung der Geschenke an die Kinder zeigte. Das Mädchen, das bereits dreimalhunderttausend Rubel besaß, bekam eine überaus kostbare Puppe. Dann folgten im absteigenden Werte die übrigen Geschenke, je nach der absteigenden Position der Eltern dieser glücklichen Kinder. Ganz zuletzt kam ein etwa zehnjähriger, kleiner Junge, schwächlich, klein, mit Sommersprossen und rötlichem Haar, der nur einen Band Erzählungen bekam, die alle von der Erhabenheit der Natur, von Tränen der Empfindsamkeit und dergleichen handelten, doch ohne Bilder und sogar ohne Vignetten. Er war der Sohn der Gouvernante des Hauses, einer armen Witwe und schien sehr scheu und verschüchtert. Er trug ein ärmliches Jäckchen aus Nanking. Nachdem er sein Buch bekommen hatte, ging er lange um die andern Spielsachen herum: er hatte große Lust, mit den andern Kindern zu spielen, wagte es aber nicht; man sah ihm an, daß er seine Stellung im Hause durchaus begriff. Ich liebe es sehr, Kinder zu beobachten. Es ist außerordentlich interessant, wenn sich in ihnen die ersten Regungen eines selbständigen Lebens bemerkbar machen. Ich merkte, daß der rothaarige Junge von den Spielsachen der andern Kinder und besonders vom Puppentheater, in dem er irgendeine Rolle spielen wollte, so mächtig angezogen war, daß er sogar zu einem Kriecher wurde. Er lächelte den andern Kindern zu, machte ihnen den Hof, schenkte einem aufgedunsenen Bengel, der bereits einen ganzen Haufen Näschereien in seinem Taschentuch hatte, seinen Apfel und ließ sich sogar herab, einen andern Bengel Huckepack zu tragen; und alles, nur um am Theater mitspielen zu dürfen! Doch nach einigen Minuten wurde er von einem besonders frechen Jungen ordentlich verprügelt. Der arme Knabe wagte nicht zu weinen. Nun erschien die Gouvernante, seine Mutter, und sagte ihm, daß er die andern Kinder in ihrem Spiele nicht stören solle. Der Knabe ging in denselben Salon, wo schon das Mädchen saß. Sie ließ ihn zu sich heran, und beide Kinder begannen mit großem Eifer, die kostbare Puppe anzukleiden.

Ich saß schon eine halbe Stunde in der Efeulaube und war beim Gespräch des rothaarigen Jungen mit dem hübschen Mädchen, das eine Mitgift von dreimalhunderttausend Rubel besaß, beinahe eingenickt, als plötzlich Julian Mastakowitsch ins Zimmer trat.

Irgendeine Streitigkeit unter den Kindern hatte die Aufmerksamkeit der andern Gäste auf sich gezogen, und er schlich sich unbemerkt aus dem Saal hinaus. Ich hatte bemerkt, wie er kurz vorher mit dem Papa der zukünftigen reichen Braut, mit dem er erst soeben bekannt geworden war, über die Vorzüge irgendeiner Beamtenlaufbahn vor einer andern gesprochen hatte. Nun stand er in Nachdenken versunken da und schien etwas an den Fingern zu rechnen.

»Dreihundert ... dreihundert,« flüsterte er. »Elf ... zwölf ... dreizehn ... Bis sechzehn sind noch fünf Jahre! Nehmen wir an vier auf hundert, macht zwölf; fünfmal zwölf macht sechzig; nun auf diese sechzig ... Im ganzen werden es in fünf Jahren vierhundert sein ... Ja! Nicht übel ... Er wird sie aber nicht zu vier auf hundert liegen haben, der Spitzbube. Der wird schon acht oder gar zehn für hundert nehmen. Es werden also wenigstens fünfmalhunderttausend sein, das ist sicher; und der Rest geht dann für die Aussteuer, hm ...«

Er beendigte seine Berechnungen, schneuzte sich und wollte schon das Zimmer wieder verlassen, als er plötzlich das Mädchen bemerkte. Ich saß hinter den Blumentöpfen, und er konnte mich nicht sehen. Er schien mir sehr aufgeregt zu sein: ob es das Resultat seiner Berechnungen war, oder irgend etwas anderes, das auf ihn so wirkte, weiß ich nicht; er rieb sich die Hände und konnte nicht ruhig auf einem Flecke stehen. Mit immer wachsender Erregung warf er einen zweiten, sehr entschlossenen Blick auf die künftige Braut. Er wollte auf sie zugehen, sah sich aber zunächst argwöhnisch um. Und dann näherte er sich auf den Zehenspitzen, wie schuldbewußt dem Kinde. Er lächelte der Kleinen zu, beugte sich über sie und küßte sie auf den Kopf. Das Kind, das den Überfall nicht erwartet hatte, schrie erschrocken auf.

»Was machen Sie hier, liebes Kind?« fragte er flüsternd. Dabei sah er sich im Kreise um und tätschelte zugleich dem Mädchen die Wangen.

»Wir spielen ... «

»So? Mit dem da?« Julian Mastakowitsch schielte auf den Knaben.

»Du solltest doch lieber in den Saal gehen, mein Freund!« sagte er zu ihm.

Der Knabe schwieg und starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Julian Mastakowitsch sah sich noch einmal um und beugte sich wieder zur Kleinen. »Haben Sie ein Püppchen da, liebes Kind?« fragte er sie.

»Ja, ein Püppchen,« antwortete das Mädchen schüchtern und verzog etwas das Gesicht.

»So, ein Püppchen ... Und wissen Sie, liebes Kind, woraus Ihr Püppchen gemacht ist?«

»Ich weiß nicht ...,« antwortete die Kleine kaum hörbar und senkte ihr Köpfchen.

»Aus Läppchen, mein Schatz, – Du solltest doch lieber in den Saal zu deinen Freunden gehen, mein Junge!« sagte Julian Mastakowitsch, mit einem strengen Blick auf den Knaben. Das Mädchen und der Knabe machten unzufriedene Gesichter und faßten sich bei den Händen. Sie wollten sich nicht trennen.

»Und wissen Sie, warum man Ihnen das Püppchen geschenkt hat?« fragte Julian Mastakowitsch weiter, seine Stimme immer mehr und mehr dämpfend.

»Ich weiß nicht.«

»Nun, weil Sie die ganze Woche über ein liebes und wohlerzogenes Kind gewesen sind!«

Nun sah sich Julian Mastakowitsch, dessen Aufregung wohl ihren Höhepunkt erreicht hatte, wieder um, dämpfte noch mehr seine Stimme und fragte kaum hörbar und bebend:

»Und werden Sie mich lieben, liebes Kind, wenn ich zu Ihren Eltern zum Besuch komme?«

Bei diesen Worten wollte er das liebe Mädchen wieder küssen, doch der rothaarige Knabe, welcher sah, daß das Mädchen dem Weinen nahe war, faßte sie an den Händen und begann aus Mitgefühl zu heulen. Julian Mastakowitsch wurde nun ernsthaft böse.

»Geh weg! Geh weg von hier!« schrie er den Kleinen an. »Geh in den Saal! Zu deinen Freunden!«

»Nein, ich will nicht! Ich will nicht! Gehen Sie doch weg!« sagte das Mädchen. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Lassen Sie ihn!« Sie weinte schon beinahe.

An der Türe ließ sich ein Geräusch vernehmen; Julian Mastakowitsch erschrak und reckte seinen majestätischen Leib. Noch mehr als er erschrak aber der rothaarige Junge: er ließ das Mädchen stehen und schlich sich leise, an der Wand entlang, aus dem Salon ins Eßzimmer. Um jeden Verdacht von sich abzulenken, begab sich Julian Mastakowitsch gleichfalls in das Eßzimmer. Er war rot wie ein Krebs, und als er sich, zufällig in einem Spiegel erblickte, schien er sich vor sich selbst zu schämen. Vielleicht ärgerte er sich über seine eigene Übereilung und Ungeduld. Vielleicht hatte ihn vorher seine Berechnung an den Fingern so sehr begeistert und entzückt, daß er seine ganze Gesetztheit und Würde außer acht ließ und sich wie ein dummer Junge zu handeln entschloß, der den Gegenstand seines Schwärmens im Sturme zu erobern versucht, obwohl dieser Gegenstand erst in mindestens fünf Jahren ein wirklicher Gegenstand werden kann. Ich folgte dem würdigen Herrn ins Eßzimmer, und meinen Augen bot sich ein seltsames Schauspiel. Julian Mastakowitsch, der vor Ärger und Bosheit ganz rot geworden war, suchte den rothaarigen Knaben aus dem Eßzimmer zu verjagen. Doch der Knabe zog sich vor ihm immer weiter und weiter zurück und wußte schließlich nicht, wohin er sich in seiner Angst verkriechen sollte.

»Geh hinaus! Geh hinaus! Was machst du hier, frecher Bengel? Stiehlst wohl Obst vom Tische, was? Du stiehlst Obst? Geh hinaus, rotznasiger Taugenichts! Geh zu deinen Freunden ...«

Der erschreckte Knabe entschloß sich zum äußersten Mittel und rettete sich unter den Tisch. Nun nahm der wütende Verfolger sein langes Battisttuch aus der Tasche und versuchte damit den Knaben, der ganz still und verängstigt unter dem Tische kauerte, herauszupeitschen. Ich muß bemerken, daß Julian Mastakowitsch ziemlich korpulent war: ein sattes, rotbackiges, stämmiges Männchen mit ziemlichen Embonpoint und fetten Schenkeln, rund wie eine Nuß. Er schwitzte und schnaubte entsetzlich und war über und über rot. Allmählich geriet er in Raserei: so groß war sein Zorn und vielleicht auch (wer kann es wissen?) seine Eifersucht. Ich lachte aus vollem Halse auf. Julian Mastakowitsch wandte sich nach mir um und wurde, trotz seiner ganzen majestätischen Würde, furchtbar verlegen. In diesem Augenblick zeigte sich an der entgegengesetzten Türe der Herr des Hauses. Der Knabe kroch unter dem Tische hervor und wischte sich Knie und Ellenbogen ab. Julian Mastakowitsch beeilte sich, sein Taschentuch, das er noch an einem Zipfel in der Hand hielt, an die Nase zu führen, als wollte er sich gerade schneuzen.

Der Hausherr sah uns drei etwas erstaunt an. Doch als ein Mann, der das Leben kennt und es stets von der ernsten Seite nimmt, nützte er sofort die Gelegenheit aus, den Gast ohne viele Zeugen sprechen zu können.

»Das ist der Knabe,« sagte er, auf den Rothaarigen zeigend, »für den ich mir vorhin mich bei Ihnen zu verwenden erlaubte ...«

»Ach so!« erwiderte Julian Mastakowitsch, der sich noch nicht ganz erholt hatte.

»Der Sohn der Gouvernante meiner Kinder,« fuhr der Hausherr in bittendem Tone fort. »Seine Mutter ist eine arme Frau, die Witwe eines sehr ehrlichen Beamten; und darum, wenn es möglich ist, Julian Mastakowitsch ...«

»Ach, nein, nein!« fiel ihm Julian Mastakowitsch hastig ins Wort. »Nein, Sie müssen mich entschuldigen, Philipp Alexejewitsch, aber es geht wirklich nicht. Ich habe mich erkundigt: es gibt keine einzige Freistelle, und wenn es auch eine gäbe, so warten auf sie bereits zehn andere Kandidaten, die alle mehr Anrecht haben als er ... Es tut mir wirklich sehr leid ...«

»Schade,« sagte der Hausherr, »denn er ist ein stilles und bescheidenes Kind ...«

»Ein unerzogener Bengel, wie ich sehe,« entgegnete Julian Mastakowitsch, seinen Mund hysterisch verziehend. »Geh weg, Junge! Was stehst du da? Geh doch zu deinen Freunden!« sagte er, sich wieder an den Knaben wendend.

Er konnte sich offenbar nicht mehr beherrschen und schielte mit einem Auge auf mich. Auch ich konnte mich nicht beherrschen und lachte ihm gerade ins Gesicht. Julian Mastakowitsch wandte sich sofort wieder weg und fragte den Hausherrn so demonstrativ, daß ich es merken mußte, wer dieser sonderbare junge Mann sei? Sie begannen beide zu flüstern und verließen das Zimmer. Ich sah noch, wie Julian Mastakowitsch, den Erklärungen des Hausherrn zuhörend, mißtrauisch den Kopf schüttelte.

Als ich genug gelacht hatte, kehrte ich in den Saal zurück. Der große Mann stand, von Vätern und Müttern umgeben, da und sprach mit großer Begeisterung auf eine Dame ein, zu der man ihn eben herangeführt hatte. Die Dame hielt das Mädchen an der Hand, mit dem Julian Mastakowitsch soeben den Auftritt im Salon gehabt hatte. Jetzt erging er sich in begeisterten Lobsprüchen auf die Schönheit, die Talente, Grazie und Wohlerzogenheit des schönen Kindes. Er machte der Mutter ganz offenbar den Hof. Die Mutter hörte ihm zu, vor Entzücken beinahe weinend. Der Mund des Vaters lächelte. Der Hausherr freute sich über die allseitigen Freudenergüsse. Selbst alle Gäste nahmen ihren Anteil daran, und sogar die Kinder mußten ihre Spiele abbrechen, um das Gespräch nicht zu stören. Die ganze Luft war von Ehrfurcht erfüllt. Ich hörte später, wie die bis ins Innerste ihrer Seele gerührte Mutter des interessanten Mädchens Julian Mastakowitsch in gewählten Ausdrücken bat, ihr die besondere Ehre zu erweisen und ihr Haus mit seinem Besuch zu beehren; ich hörte, mit welch echtem Entzücken Julian Mastakowitsch die Einladung annahm, und wie nachher alle Gäste, nachdem sie sich, wie es der Anstand gebot, nach verschiedenen Seiten zerstreut hatten, ein Loblied anstimmten auf den Branntweinpächter, auf seine Gemahlin, auf das Töchterchen und ganz besonders auf Julian Mastakowitsch.

»Ist dieser Herr verheiratet?« fragte ich ziemlich laut einen meiner Bekannten, der Julian Mastakowitsch am nächsten stand.

Julian Mastakowitsch warf mir einen prüfenden, bösen Blick zu.

»Nein!« gab mir mein Bekannter zur Antwort. Er war über meine absichtliche Taktlosigkeit bis in die Tiefe seines Wesens gekränkt.

Neulich ging ich an der x-Kirche vorbei. Die große Menschenansammlung vor dem Kirchenportal fiel mir auf. Alle sprachen von einer Hochzeit. Der Tag war trüb, und da es gerade etwas zu regnen anfing, drängte ich mich mit der Menge in die Kirche hinein. Hier sah ich den Bräutigam. Es war ein kleines, sattes, rundliches Männchen mit ziemlichem Embonpoint und sehr geputzt. Er lief geschäftig hin und her und traf die letzten Vorbereitungen. Bald begann man zu flüstern, daß die Braut soeben angekommen sei. Ich drängte mich vor und erblickte eine wunderbare Schönheit, mit allen Reizen des ersten Lenzes geschmückt. Doch die Schöne war blaß und traurig. Sie blickte zerstreut um sich, und es schien mir sogar, daß ihre Augen von Tränen gerötet seien. Die antike Strenge ihrer Gesichtszüge verlieh ihrer Schönheit etwas Ernstes und Majestätisches. Doch durch diese Strenge und Feierlichkeit, durch diese Traurigkeit hindurch leuchtete noch die ganze Unschuld ihrer frühen Jugend. Aus ihrem ganzen Wesen sprach etwas unsagbar Naives, Weiches, Kindliches, das ohne Worte um Gnade zu flehen schien.

Man sagte, sie sei erst kaum sechzehn Jahr alt. Ich sah mir den Bräutigam noch einmal aufmerksam an und erkannte in ihm Julian Mastakowitsch, den ich seit fünf Jahren nicht gesehen hatte. Dann sah ich wieder auf die Braut ... Mein Gott! Ich bemühte mich, die Kirche so schnell als möglich zu verlassen. Im Publikum sprach man davon, daß die Braut sehr reich sei, daß sie eine Mitgift von fünfmalhunderttausend Rubeln in bar besitze ... und dazu noch eine Aussteuer im Werte von so und so viel ...

»Die Rechnung hat also gestimmt!« sagte ich mir, auf die Straße tretend.

sabato 21 dicembre 2013

SKDP/20/002-10. § 20. Kurd Laßwitz: “Die Weltprojekte”

Home / 1921/ Lessico
Kurd Laßwitz
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Gutenberg Spiegel e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 002/10. - Nostra numerazione del Brano: 20. Reader: Dirk Weber / download  di “Die Weltprojekt” (10).  Etext: Gutenberg Spiegel/Laßwitz  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Die Weltprojekt
Kurd Laßwitz
(1848-1910)

Als die Welt geschaffen wurde, mußte selbstverständlich zuvor das Projekt sein.

Natürlich nicht bloß eins. Es gab unendlich viele mögliche Welten in unendlich vielen möglichen Räumen. Und da es sich um eine wichtige Sache handelte, so hatten die Oberengel den Auftrag, sie sämtlich bis ins einzelne auszuarbeiten.

Die Zeit drängte nicht, denn das Maß der Erddrehung war noch nicht erfunden, und so gedachte der Herr, die beste aller möglichen Welten auszusuchen, um sie als die einzig wirkliche Welt zu schaffen.

Die beste erkannte er freilich auf den ersten Blick. Darin gab's nämlich gar keinen Widerspruch, keine Reibung, keine Störungen, keine Schmerzen, keine Dummheiten; nichts als blitzblaue Seligkeit und Zufriedenheit; und dabei wußte niemand, womit er eigentlich zufrieden war. Denn alle waren immer einig, und es war ganz unmöglich, sich über etwas zu ärgern.

Schon wollte er diese Welt des höchsten Glücks aller ausführen, als er sich erst den Kostenanschlag ansah. O weh! Die vollkommenste Welt war leider die teuerste von allen. Sie war wirklich zu teuer. Sie brauchte nämlich einen fortwährenden baren Zuschuß, weil ja kein Wunsch unbefriedigt bleiben durfte. Das konnte sich nur eine Aktiengesellschaft leisten, und die ließ sich nicht schaffen; auch wäre die Welt sonst nicht mehr vollkommen gewesen.

Es wurden also die zu teuren Welten von vornherein ausgeschieden, ebenso die zu billigen, denn die waren Schundware. Dann noch ein paarmal engere Wahl, und schließlich behielt der Herr zwei übrig. Er nannte sie Projekt A und Projekt B. Die wurden in Lebensgröße ausgeführt.

Zunächst sollten sie nun einmal Probe laufen.

Es wurde also die Gesamtenergieverteilung für den Anfangszustand zur Zeit Null eingestellt, und dann wurde die Zeit angelassen. Zuerst bei der Welt A. Da ging's los, und die Welt schnurrte ab, daß es eine Freude war.

Als das so ein paar Dezillionen Jahre gedauert hatte, was ja doch bei einem Weltversuch noch nicht viel sagen will, da machte der Herr eine kleine Stichprobe. Er griff mal so gerade in eins der unendlich vielen Milchstraßensyteme hinein, holte sich eine Sonne heraus, nahm einen von ihren Planeten und betrachtete sich das Zeug näher, das darauf wuchs und herumkrabbelte. Es sah beinahe aus wie auf unserer Erde.

»Wie gefällt's euch da?« fragte der Herr. »Ist's nicht ne schöne Welt?«

»Danke der gütigen Nachfrage«, antwortete eine Stimme. »Will mal nachsehen.«

»Was? Nachsehen? Ihr werdet doch wissen, wie's euch gefällt?«

»Ich will im Gefühlskalender nachschlagen, was ich zu antworten habe. Hier steht's schon: Eine schauderhafte Welt ist es.«

»Was soll das heißen?«

»Ich will mal im Verstandeskalender nachschlagen. Also: Wegen der absoluten Gesetzmäßigkeit der mathematischen Logik, die dem Weltprojekt zugrunde gelegt ist, sind alle Ereignisse und alle Gefühle von vornherein bestimmt, und man kann sie sowohl für die künftige wie für die vergangene Zeit in den automatischen Reproduktionsregistern aufsuchen. Wenn ich also wissen will, warum ich meine Ansicht habe, so brauche ich bloß –«

»Aber was willst du damit gewinnen? Du mußt doch selbst entscheiden –«

»Was ich will? Ich werde im Willenskalender nachschlagen –«

»Ich meine, warum ihr die Welt schauderhaft findet.«

»Eben darum, weil sie so absolut korrekt ist, daß man alles aus dem Wirklichkeitskalender erfahren kann. Auch was man wollen muß – man weiß es ja nicht gerade vorher, aber man kann's doch wissen, wenn man's nachschlägt.«

»Dafür seid ihr vor allen Torheiten geschützt.«

»Aber man lebt ja gar nicht, man sucht nur immer in den Kalendern; und wenn man gesehen hat, wie's kommen wird, so möchte man's gar nicht erst erleben. Da sehe ich zum Beispiel aus dem Willenskalender, daß ich morgen beim Festessen zu Ehren unseres Direktors eine Rede halten will, aber aus dem Gefühlskalender erfahre ich, daß ich mich blamieren und dabei den Mann noch bedenklich vor den Kopf stoßen werde.«

»Da mußt du es lassen oder die Rede abändern.«

»Das ist eben das Schauderhafte. Ehe ich nun im Verstandskalender finde, ob und wie das sein kann! Nichts läßt sich ändern in dieser Welt! Das kleinste Fleckchen oder Stäubchen wirkt nach in alle Ewigkeit, irgendwo bleibt's hängen.«

»Aber das vergißt man doch.«

»Vergessen! Ja, wenn wir eine Bewußtseinsschwelle hätten! Aber selbst wenn man's vergessen könnte, es steht doch immer in den Weltplänen, und irgend jemand kann's auffinden. Nein, nein! Alles erfahren, aber nichts ändern können, das ist schlimm. Und wenngleich alles noch so vorzüglich gut ist, eine Welt, in der man nichts besser machen kann, ist doch schauderhaft!«

Da setzte der Herr den Planeten wieder an seinen Platz, die Sonne in ihr System und die Milchstraße in ihren Raum und stellte die Zeit ab, daß die Welt außer Betrieb gesetzt war.

»Nein«, sagte er zu dem Oberengel, der das Projekt A gemacht hatte, »die beste Welt ist das nicht. Wir wollen einmal das Projekt B probieren.«

Diese Welt sah von außen ganz ähnlich aus wie A, denn sie war auch nach dem Prinzip der ineinandergeschachtelten und bewohnten Sternsysteme gebaut. Der Engel ließ also die Zeit laufen, und als ein Dutzend Zentillionen Jahre vorbei waren, langte sich der Herr wieder einen Planeten heraus und betrachtete sich die Lebewesen darauf.

»Na, wie geht's?« fragte er. »Wie gefällt euch die Welt?«

»Schauderhaft, ganz schauderhaft!« schrie eine große Anzahl Stimmen durcheinander.

»Nun, nun!« sprach der Herr beruhigend. »Immer einer nach dem andern!«

Aber das half nichts. So klagten alle gleichzeitig, bis er sich so ein Persönchen herausnahm. Das war nun auf einmal ganz vergnügt, und als es der Herr fragte, wie ihm die Welt gefiele, da rief es:

»Ach, so ist es ganz wunderschön! Jetzt bin ich für mich, da ist ja alles gleich vorhanden, was ich wünsche. Will ich mal tüchtig arbeiten, so ruckt und zuckt mir's in allen Muskeln, und das Gehirn müdet sich ab. Will ich ruhen und sage, hier soll ein hübsches Häuschen stehen in einem großen, stillen Park und ein bequemer Schlafstuhl auf der Veranda, so lieg' ich gleich dort und rauche meine Havanna. So ist's ganz ausgezeichnet hier.«

»Warum rieft ihr denn alle: Schauderhaft! Schauderhaft!«

»Ja, Herr, sobald einer von uns für sich allein etwas wünscht, da haben wir ja alles; es steigt willig hervor, und nichts kann sich stören. Wenn wir aber da im Raum auf der Wohnkugel zusammenstecken, da stoßen die schönen Gedanken und Phantasien, all die köstlichen Träume meiner Seele zusammen mit den ebenso mächtigen meiner Mitbewohner und geraten in Wettbewerb. Wo ich meinen Garten habe, da läßt der Nachbar seine sechs Jungen Ball schlagen und nach Herzenslust schreien. Denn es gibt ja kein Mittel, zu verhindern, daß das geschieht, was jeder sich ausdenkt. Die Vorstellung genügt, um das Mögliche zum Dasein zu bringen. So besteht allhier nichts Sicheres, nichts Gewisses! Also tu mir die einzige Gnade an und nimm all die anderen Bewohner aus der Welt, damit ich in meiner schönen Eigenwelt nicht beeinträchtigt werde!«

»Ha, hm!« sagte der Herr bedenklich und brachte das Persönchen wieder in das Weltsystem an seine Stelle, wo es sofort aufs neue zu lamentieren anfing.

»Das ist also auch nichts Rechtes mit dem Projekt B«, sprach der Herr und stellte die Zeit ab.

Die beiden Oberengel machten einigermaßen unzufriedene Gesichter, soweit das anging, und erboten sich sogleich, neue Projekte einzureichen.

Aber der Herr meinte: »Ach was, das hat ja keine Eile mit der Weltschöpfung. Diese eure Welten taugen beide nichts. Vielleicht fällt euch später was Besseres ein. Vorläufig geht's auch so.«

Damit nahm er die beiden Weltmodelle und setzte sie der Bequemlichkeit wegen ineinander in die Himmelsrumpelkammer.

Nach ein paar Dezillionen Jahren blickte der Herr zufällig wieder in diese Ecke und merkte, daß die beiden zurückgesetzten Welten im Gange waren.

Er rief sich die beiden Engel und fragte, wer sich denn erlaubt habe, die Zeit anzulassen, so daß die Welten weiter Probe liefen.

»Ich habe nur meine übrige Zeit genommen«, sagte der vom Projekt A etwas ängstlich.

»Ich auch nur meine«, sagte der vom Projekt B desgleichen.

»Ja«, riefen sie beide, »wir wollten bloß einmal versuchen, welche es besser aushält, wenn sie gleichzeitig liefen.«

»So?« sprach der Herr gütig. »Da wollen wir doch einmal nachsehen, was daraus geworden ist.«

Und er griff wieder in das kombinierte Weltsystem und holte sich einen Bewohner heraus. Daß er immer den richtigen traf, verstand sich ja von selbst.

»Nun?« fragte er. »Wie geht's bei euch jetzt?«

»Ausgezeichnet«, antwortete der Mensch; denn ein solcher war es.

»Wie kommt das? In der Welt A jammerten sie doch, es sei alles so notwendig bestimmt, daß nichts geändert werden könnte, und in der Welt B klagten sie, weil alles, man mag sich ausdenken, was man wolle, gleich da sei und deshalb nichts Festes zusammenstimme.«

»Ja, Herr, das haben wir eben ausgeglichen. Wir haben aus den beiden Welten eine neue gemacht, unsere eigene. Wir bilden nämlich eine besondere Gesellschaft für Weltverbesserung.«

»Das wäre! Wie denn?«

»Sehr einfach. Die Welten laufen nun mal, darauf sind wir angewiesen. Aber nun nehmen wir aus B die Phantasie, und aus A nehmen wir das Gesetz. So bewirken wir die Ergänzung. Was wir als wünschenswert vorstellen, machen wir auch wirklich, und das Unabänderliche nutzen wir zum Vernünftigen.«

»Nicht übel! So steuert ihr ja gerade auf die vernünftige Welt los, die ich erwarte. Na, so mögt ihr sie euch denn selber schaffen, ich will sie bestätigen. Und wer bist du denn eigentlich?«

»Ich bin der Ingenieur.«

SKDP/19/002-9. § 19. Berthold Auerbach: “Vom Grüßen”

Home / 1820/ Lessico
Berthold Auerbach
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Gutenberg Spiegel e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 002/9. - Nostra numerazione del Brano: 19. Reader: Dirk Weber / download  di “Vom Grüssen” (9).  Etext: Gutenberg Spiegel/Auerbach  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

§ 19.
Vom Grüßen
Berthold Auerbachl
(1812-1882)

Es ist eine schöne Sache, daß Menschen, die sich begegnen, einander begrüßen. Wenn sie einander kennen, soll mit dem Grüßen wohl gesagt sein: Freut mich, daß du auch noch da und wohlauf bist. Wenn sie einander nicht kennen und vielleicht auf einsamem Wege zusammentreffen, so sagt der Gruß: Freut mich überhaupt, daß du da bist; wir sind Lebensgenossen.

Fragt dich aber ein Bekannter: »Wie geht's?« – so sieh zu, ob er denn wirklich wissen will, wie's dir geht. Hast du ein Leid erfahren oder einen Kummer in der Seele und du sagst ehrlich, wie dir zumute ist, so kann es leicht kommen, daß der Grüßende dich verwundert oder gar verdrossen ansieht; denn er wollte ja eigentlich nicht wissen, wie's dir geht, das ist nur so eine Redensart. Darum ist das Beste, wenn du auf die Frage wie geht's, die Antwort gibst: »Ich danke.« Damit bist du fertig und hast nicht nötig zu lügen, indem du gut antwortest, wenn es dir in der Tat nicht gutgeht. Kannst dich darauf verlassen, der Fragende ist mit der Antwort, »ich danke«, in der Regel vollkommen zufrieden.

Es gibt aber auch wohlgemeinte Grüße.

Wenn du am Hause des Hagenmaier vorübergehst und er steht unter der Halbtür und grüßt dich heraus, so darfst du annehmen, er meint's im Ernst; dagegen kannst du dich darauf verlassen, daß der Oberbauer von Windenreuten, wenn du ihm begegnest – zumal wenn er die Stufen vom Wirtshaus heruntersteigt – und du grüßt ihn, stets die Pfeife im Mund hält und denkt: Was will denn der? Der will gewiß was von mir, weil er mich grüßt.

Der schönste von allen Grüßen ist und bleibt immer, wie die Mutter ihr Kindchen grüßt, wenn sie es mit schlaf geröteten Wangen aus dem Bettchen hebt und sich eben freut, daß es frisch gestärkt wieder auflebt und lacht und gedeiht.

Es gibt eben verschiedene Grüße. Es gibt einen Gruß im Flug, der sehr höflich scheint; der Grüßende macht ein gar freundliches Gesicht, grinst und zeigt seine Zähne; wer weiß, was er wirklich denkt. Aber was tut's? Man kommt nicht weit in der Welt und trägt schwer am Leben, wenn man sich immer vergegenwärtigen will: was geht in dem anderen vor.

Wie vielerlei Lug und Trug wird in der Welt verbraucht, und das Leben ist doch so kurz; die Station, die zum Aufenthalt gegeben, ist so knapp bemessen.

Da begegnen sich zwei Männer. »Empfehle mich höflichst« – »Gehorsamer Diener« heißt es hin und her, und innerlich lachen sie übereinander, verwünschen vielleicht einander und wünschen sich gegenseitig zum Teufel. Die einfältigste Redensart ist doch »gehorsamer Diener«, denn will der, der »gehorsamer Diener« sagt, wirklich das sein? Sage nicht, das sind bloße Redensarten; es kann dich niemand zu einer hohlen Redensart zwingen, wenn du nicht willst.

Nun sieh dir einmal den Hochmutsnarren an, der daherstolziert, als ob er eigentlich ganz allein auf der Welt wäre und die anderen gar kein Recht hätten, auch dazusein; er grüßt nur, indem er mit seinem Augenglas winkt, das ist ihm schon vollständig genug für die Aufdringlichen, die sich anmaßen, auch zu leben. –

Da kommt ein anderer. Ihn hat ein gutmütiger Alter freundlich begrüßt und geht an seinem Stock weiter, der Begrüßte aber macht ein schiefes Maul, wendet sich noch einmal verächtlich zurück: Was tut denn der alte Mann noch auf der Welt, der hätte auch schon lange adje sagen können, und wie kommt der dazu, dich zu grüßen? –

Und wieder ein anderer wird vor einem Bittsteller begrüßt, gar untertänig, und er fühlt sich um so erhabener und läßt sich's gefallen, daß ihm der Bittende seinen dringenden Wunsch vorträgt.

Auf Weg und Steg wird man gewahr, in welch närrischer Welt wir leben, wo die Menschen statt einander die kurze Zeit je nach Kräften, und sei es nur mit guten Worten und freundlichen Mienen, das Dasein zu verschönern, aus allerlei Hochmut und Herzenskälte sich dasselbe verderben. Das beste ist, man kümmert sich nicht drum, man geht nach Herzenslust seines Weges und tut seine Pflicht. 

SKDP/18/002-8. § 18. Georg Trakl: “Verlassenheit”

Home / 1719/ Lessico
Georg Trakl
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Gutenberg Spiegel e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 002/8. - Nostra numerazione del Brano: 18. Reader: Herr Klugbeisser / download  di “Verlassenheit” (8).  Etext: Gutenberg Spiegel/Trakl  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Verlassenheit
Georg Trakl
(1887-1914)

Nichts unterbricht mehr das Schweigen der Verlassenheit. Über den dunklen, uralten Gipfeln der Bäume ziehn die Wolken hin und spiegeln sich in den grünlich-blauen Wassern des Teiches, der abgründlich scheint. Und unbeweglich, wie in trauervolle Ergebenheit versunken, ruht die Oberfläche – tagein, tagaus.

Inmitten des schweigsamen Teiches ragt das Schloß zu den Wolken empor mit spitzen, zerschlissenen Türmen und Dächern. Unkraut wuchert über die schwarzen, geborstenen Mauern, und an den runden, blinden Fenstern prallt das Sonnenlicht ab. In den düsteren, dunklen Höfen fliegen Tauben umher und suchen sich in den Ritzen des Gemäuers ein Versteck.

Sie scheinen immer etwas zu befürchten, denn sie fliegen scheu und hastend an den Fenstern hin. Drunten im Hof plätschert die Fontäne leise und fein. Aus bronzener Brunnenschale trinken dann und wann die dürstenden Tauben.

Durch die schmalen, verstaubten Gänge des Schlosses streift manchmal ein dumpfer Fieberhauch, daß die Fledermäuse erschreckt aufflattern. Sonst stört nichts die tiefe Ruhe.

Die Gemächer aber sind schwarz verstaubt! Hoch und kahl und frostig und voll erstorbener Gegenstände. Durch die blinden Fenster kommt bisweilen ein kleiner, winziger Schein, den das Dunkel wieder aufsaugt. Hier ist die Vergangenheit gestorben.

Hier ist sie eines Tages erstarrt in einer einzigen, verzerrten Rose. An ihrer Wesenlosigkeit geht die Zeit achtlos vorüber.

Und alles durchdringt das Schweigen der Verlassenheit.

Niemand vermag mehr in den Park einzudringen. Die Äste der Bäume halten sich tausendfach umschlungen, der ganze Park ist nur mehr ein einziges, gigantisches Lebewesen.

Und ewige Nacht lastet unter dem riesigen Blätterdach. Und tiefes Schweigen! Und die Luft ist durchtränkt von Vermoderungsdünsten!

Manchmal aber erwacht der Park aus schweren Träumen. Dann strömt er ein Erinnern aus an kühle Sternennächte, an tief verborgene heimliche Stellen, da er fiebernde Küsse und Umarmungen belauschte, an Sommernächte, voll glühender Pracht und Herrlichkeit, da der Mond wirre Bilder auf den schwarzen Grund zauberte, an Menschen, die zierlich galant voll rhythmischer Bewegungen unter seinem Blätterdache dahinwandelten, die sich süße, verrückte Worte zuraunten, mit feinem verheißenden Lächeln.

Und dann versinkt der Park wieder in seinen Todesschlaf.

Auf den Wassern wiegen sich die Schatten von Blutbuchen und Tannen und aus der Tiefe des Teiches kommt ein dumpfes, trauriges Murmeln.

Schwäne ziehen durch die glänzenden Fluten, langsam, unbeweglich, starr ihre schlanken Hälse emporrichtend. Sie ziehen dahin! Rund um das erstorbene Schloß! Tagein, tagaus!

Bleiche Lilien stehen am Rande des Teiches mitten unter grellfarbigen Gräsern. Und ihre Schatten im Wasser sind bleicher als sie selbst.

Und wenn die einen dahinsterben, kommen andere aus der Tiefe. Und sie sind wie kleine, tote Frauenhände.

Große Fische umschwimmen neugierig, mit starren, glasigen Augen die bleichen Blumen, und tauchen dann wieder in die Tiefe – lautlos!

Und alles durchdringt das Schweigen der Verlassenheit.

Und droben in einem rissigen Turmgemach sitzt der Graf. Tagein, tagaus.

Er sieht den Wolken nach, die über den Gipfeln der Bäume hinziehen, leuchtend und rein. Er sieht es gern, wenn die Sonne in den Wolken glüht, am Abend, da sie untersinkt. Er horcht auf die Geräusche in den Höhen: auf den Schrei eines Vogels, der am Turm vorbeifliegt oder auf das tönende Brausen des Windes, wenn er das Schloß umfegt.

Er sieht wie der Park schläft, dumpf und schwer, und sieht die Schwäne durch die glitzernden Fluten ziehn – die das Schloß umschwimmen. Tagein! Tagaus!

Und die Wasser schimmern grünlich-blau. In den Wassern aber spiegeln sich die Wolken, die über das Schloß hinziehen; und ihre Schatten in den Fluten leuchten strahlend und rein, wie sie selbst. Die Wasserlilien winken ihm zu, wie kleine, tote Frauenhände, und wiegen sich nach den leisen Tönen des Windes, traurig träumerisch.

Auf alles, was ihn da sterbend umgibt, blickt der arme Graf, wie ein kleines, irres Kind, über dem ein Verhängnis steht, und das nicht mehr Kraft hat, zu leben, das dahinschwindet, gleich einem Vormittagsschatten.

Er horcht nur mehr auf die kleine, traurige Melodie seiner Seele: Vergangenheit!

Wenn es Abend wird, zündet er seine alte, verrußte Lampe an und liest in mächtigen, vergilbten Büchern von der Vergangenheit Größe und Herrlichkeit.

Er liest mit fieberndem, tönendem Herzen, bis die Gegenwart, der er nicht angehört, versinkt. Und die Schatten der Vergangenheit steigen herauf – riesengroß. Und er lebt das Leben, das herrlich schöne Leben seiner Väter.

In Nächten, da der Sturm um den Turm jagt, daß die Mauern in ihren Grundfesten dröhnen und die Vögel angstvoll vor seinem Fenster kreischen, überkommt den Grafen eine namenlose Traurigkeit.

Auf seiner jahrhundertalten, müden Seele lastet das Verhängnis. Und er drückt das Gesicht an das Fenster und sieht in die Nacht hinaus. Und da erscheint ihm alles riesengroß traumhaft, gespensterlich! Und schrecklich. Durch das Schloß hört er den Sturm rasen, als wollte er alles Tote hinausfegen und in Lüfte zerstreuen.

Doch wenn das verworrene Trugbild der Nacht dahinsinkt wie ein heraufbeschworener Schatten – durchdringt alles wieder das Schweigen der Verlassenheit.
→  SKDP/18/002-8.

SKDP/17/002-7. § 17. Arthur Schnitzler: “Um eine Stunde”

Home / 1618/ Lessico
Arthur Schnitzler
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Zeno.org meine Bibliothek e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 002/7. - Nostra numerazione del Brano: 17. Reader: Noonday / download  di “Um eine Stunde” (7).  Etext: Zeno.org/Schnitzler  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Um eine Stunde
Arthur Schnitzler
(1862-1931)

Er hielt ihre Hand in der seinen und betrachtete ihr blasses Gesicht, aus dem jede Spur des Lebens geschwunden schien. Da öffnete sie noch einmal die Augen. Er wußte, wenn sich diesmal die Lider senkten, so war es für immer. Ihre Brust hob sich schwer, und er wußte: dies ist der letzte Atemzug. Da ergriff ihn eine ungeheure Angst um sie, und er betete, ohne daß seine Lippen sich bewegten: »Laß sie mir, Unerbittlicher, laß sie mir! Laß sie mir noch einen Tag, noch eine Stunde, aber nimm sie mir nicht jetzt, nicht gleich!«

Da sah er mit einem Male den Engel des Todes im Fenster stehen, der hatte sein Flehen gehört und sprach zu ihm: »Was willst du von mir? Drei Jahre war sie dein Weib. Was kann diese letzte Stunde dir, dem Lebenden, und ihr, der Sterbenden, geben?«

»Alles!« rief der Jüngling aus. »Denn diese drei Jahre waren nichts. Niemals hab' ich ihr gesagt, wie ich sie liebe, und ich hab' ihr's nicht sagen können, weil ich selbst es nicht gewußt habe. Und nun soll sie dahingehen, ohne es jemals gehört zu haben. Darum fleh' ich zu dir: Eine Stunde gib mir noch, daß ich's ihr sagen kann, und ich will dir nicht fluchen, so grausam du bist!«

Da antwortete der Engel des Todes: »Ich selbst kann dir diese Stunde nicht schenken. Denn eine so große Fülle von Leben über die Erde verstreut ist, so abgemessen ist sie, und im Unendlichen gibt es kein Zuviel und kein Zuwenig. Was du von mir verlangst, kann ich nur von einem anderen Menschen für dich erbitten, dem eben noch eine Stunde des Lebens und nicht mehr beschieden ist.«

Da leuchteten die Augen des Jünglings in neuer Hoffnung, und er sprach: »Wenn das in deiner Macht steht, so mach dich schnell auf den Weg, die Zeit geht hin.«

Der Engel schüttelte das Haupt. »Fürchte nichts. Solange ich mit dir rede, rauscht die Zeit an dir vorbei, ohne Macht über dich zu haben. Komm, ich will dich unter meine Flügel nehmen, denn[313] du mußt bei mir sein, wenn meinen Bitten Kraft innewohnen soll; aber du wirst unsichtbar sein.«

Kaum hatte der Engel des Todes diese Worte ausgesprochen, so fühlte sich der Jüngling vom Boden emporgehoben und durch die dämmernde Morgenluft davongetragen. Und noch im selben Augenblick fand er sich in einem Wald und wandelte an der Seite des Engels durch eine hohe, dunkle Allee. Da begegnete ihnen ein Mann, noch nicht alt und nicht mehr jung, der in tiefes Sinnen versunken war und erst aufsah, als ihm der Engel mit seinen schwarzen Flügeln den Weg versperrte. Der Mann erschrak zuerst, faßte sich aber bald und fragte mit viel Würde: »Ich glaube, dich zu kennen, und sehe mit Befriedigung, daß du dem Bilde sehr ähnlich bist, das ich mir von dir gemacht habe. Aber warum suchst du mich schon so früh auf?«

»Ich weiß«, antwortete der Engel, »daß du dein ganzes Leben damit verbracht hast, über mich nachzudenken, dich auf mich vorzubereiten und mich mit Anstand zu empfangen. Ich weiß auch, daß du das Nichtsein für den einzig wünschenswerten Zustand hältst, welcher den Menschen gegönnt ist. Freue dich! In einer Stunde wirst du dein Ziel erreicht haben.«

Der Mann atmete auf.

»Aber es kostet dich nur ein Wort«, fuhr der Engel fort, »um sogleich in das, was du das Reich des Nichtseins nennst, eingehen zu können. Schenke mir diese Stunde, die dir nichts anderes sein kann als ein unwillkommener Aufschub, für ein anderes menschliches Wesen, dem sie ein ungeheures Glück bedeutet.«

»Das werde ich keineswegs tun«, erwiderte der Philosoph mit viel Freundlichkeit. »Gerade in dieser letzten Stunde meines Lebens kann es mir eher gelingen als in jeder anderen, das Rätsel der Welt endgültig zu lösen – eine Möglichkeit, auf die ich keineswegs verzichten möchte; und überdies finde ich, daß die Ewigkeit selbst für den erfreulichsten Zustand, der den Menschen gegönnt ist, eben lang genug sein mag. Ich wünsche also, daß du mich ruhig meinen Spaziergang fortsetzen läßt und gütigst nicht früher erscheinst, als das Schicksal oder Gott oder der Weltgeist – darüber werde ich ja bald Näheres erfahren – dir aufgetragen hat.« Damit wendete er sich ab, und der Todesengel flog mit dem Jüngling wieder von dannen.

Sogleich befanden sie sich in einem dumpfen, schwach erhellten Zimmer, am Fußende eines Bettes, darin ein elender und verfallener Mensch lag, der sich ächzend und stöhnend hin und her[314] wälzte. Er hatte wohl auch das Rauschen der Flügel gehört, denn plötzlich schlug er die Augen auf und starrte den Engel mit Entsetzen an.

»Da bin ich endlich«, sprach dieser mit milder Stimme. »Da bin ich, den du in so vielen schmerzensreichen Tagen und Nächten herbeigerufen hast. Ich kann dich gleich mit mir nehmen, wenn du mir die eine Stunde schenkst, die dir nach Gottes Ratschluß noch bevorstünde und die furchtbarer wäre als alle, die du bisher erduldet. Du wirst nach Atem ringen, kalter Schweiß wird aus allen deinen Poren brechen, du wirst reden und dich bewegen wollen; aber du wirst dich nicht mehr rühren und deinen jammernden Kindern und deiner verzweifelnden Frau kein Wort des Abschieds sagen können. Du weißt noch nicht, was Hoffnungslosigkeit ist, in dieser Stunde wirst du es wissen und wirst fühlen, daß sie die grauenhafteste von allen Qualen ist, die über dich verhängt worden.«

Der Kranke hatte sich im Bette aufgerichtet, schlug mit den Händen um sich, als wollte er die Erscheinung vertreiben, und schrie: »Geh, geh! Du kommst noch immer zur rechten Zeit! Wärst du vor einem Jahre gekommen, so hätte ich dir gedankt; jetzt hab' ich mich an meine Qualen längst gewöhnt und weiß doch, daß ich lebe. Ja, ich lebe, ich lebe! Auch hab' ich eben nach dem berühmtesten Arzt der Stadt geschickt, er wird gleich da sein, und wenn mich auch die hundert anderen nicht retten konnten, vielleicht wird der es tun. So geh doch, geh!«

Die Wärterin, die neben dem Kranken eingeschlafen war, fiel ihm in die Arme, zugleich stürzten seine Kinder aus dem Nebenzimmer herbei, und der Todesengel flog mit dem Jüngling von dannen.

Nun standen sie inmitten eines weiten Tales, darin die Morgennebel lagen, vor einer ärmlichen Hütte. Auf einer Bank davor saß ein blindes, uraltes Weib ganz allein. – »Wer ist denn da?« flüsterte sie mit ihren welken Lippen.

»Ich bin es, der Engel des Todes.«

Da zitterte die Greisin und fragte: »Muß ich denn schon sterben?«

Der Engel erwiderte: »Wie oft hast du geklagt, daß ich ganz an dich vergessen habe, in Armut und Elend bist du hundert Jahre alt geworden, deine Kinder hat man vor dir ins Grab gelegt, deine Enkel sind in alle Welt verstreut und kümmern sich nicht um dich, du bist einsam und blind. Nun bin ich endlich da – begrüßest du mich nicht mit Freude?«[315]

Und die Alte flüsterte wieder: »Muß ich wirklich schon fort? Muß ich wirklich schon fort?«

Der Engel antwortete: »Wohl wäre dir noch eine Stunde des Daseins bestimmt, aber was kann sie dir sein? Ich bitte dich, mir sie für Jemanden zu schenken, dem sie hunderttausendmal mehr wert ist als dir. Denn zu dir wird auch in dieser Stunde kein menschliches Wesen kommen, niemand wird deine Hand in der seinen halten, niemand dir die Augen zudrücken, und das Aufgehen der Sonne kannst du nicht sehen. Worauf willst du noch warten?«

Da kniete das Weib nieder und flehte: »Laß mir diese Stunde, wenn sie doch einmal mir gehört. So dunkel und einsam sie sein wird, dort, wohin sie mich morgen tragen werden, ist es noch einsamer und dunkler. Verlasse mich, Engel des Todes, komme nicht früher, als es sein muß.«

Und wieder nahm der Engel des Todes den Jüngling unter seine Flügel und flog mit ihm davon. Plötzlich befanden sie sich in einer kleinen Zelle. An einem hölzernen Tischchen, auf dem zwei Kerzen brannten, saß mit Fesseln an den Händen und Füßen ein bleicher Mann und starrte durch das vergitterte Fenster ins Leere. Er fuhr zusammen, als plötzlich der Engel zwischen ihm und dem Fenster stand. Er fuhr sich über die Stirn, suchte aufzustehen, und seine Ketten rasselten.

»Was willst du denn jetzt schon?« schrie er heiser.

»Ich will dich befreien«, sagte der Engel des Todes.

»Schon jetzt, schon jetzt? Ich habe das Glöcklein noch nicht läuten gehört; du kommst zu früh!«

»Du hast recht«, sagte der Engel, »denn es ist wahr, daß du in einer Stunde erst gerichtet werden sollst, weil du deine Mutter umgebracht hast. Aber wenn du mir diese letzte grauenvolle Stunde schenkst für einen anderen, der Besseres damit anfangen kann als du, so bin ich bereit, dich schon jetzt mit mir zu nehmen. Gleich wirst du hören, wie man im Hof den Galgen aufrichtet, bald wird das Gefängnistor knarren, um den Leuten Einlaß zu gewähren, die deiner Hinrichtung bewohnen wollen. Endlich wird sich die Tür deiner Zelle zum letztenmal öffnen, und draußen werden der Scharfrichter und seine Gesellen stehen, die dich die enge Treppe hinunterschleppen werden, bis zu dem Gerüst, auf dem du dein Leben in schimpflicher und martervoller Weise enden sollst.«

»Fort! Fort!« schrie der Verurteilte. »Wenn ich auch nur auf[316] das kleinste Stück von meinem Leben verzichten wollte, hätt' ich mir ja längst den Kopf hier an die Wand rennen können, und alles wär' vorbei gewesen. Aber ich will nicht! Ich will nicht! Nein! Ich will das Hämmern und Schlagen im Hofe hören und das Knarren des Tores, und ich will mit diesen Füßen über die schmale Treppe hinuntergehen zu dem Gerüst, will die Menschen sehen, die gekommen sind, will hören, wie sie flüstern, und den Himmel will ich noch einmal schauen, bevor ich dorthin muß, wo ich nicht mehr sehen und hören werde. Und ich weiß eine Geschichte von einem, der hat Vater und Mutter umgebracht, und noch unter dem Galgen, mit dem Strick um den Hals, haben sie ihn begnadigt. Und wenn sie mich in den tiefsten Kerker werfen auf Lebenszeit, bei Wasser und trockenem Brot, zu Ratten und Mäusen, und ich soll nie wieder die Sonne sehen, so würd' es mir recht sein, bin dann noch immer besser dran als ein toter Graf! Hebe dich weg, verruchtes Gespenst, hebe dich weg!«

Noch klang dem Jüngling das Fluchen des Verurteilten im Ohr, da fand er sich schon in einem schönen, stillen Gemach, das matt erhellt war von einer roten Ampel, die von der Decke herabhing und ihren Schein über ein Himmelbett verbreitete, in dem ein junges Paar sich innig umschlungen hielt. Aber nur das junge Weib sah die Erscheinung und lächelte.

»Bist du der Engel der Liebe?« fragte sie.

»Nein, ich bin der Engel des Todes und komme, dir deinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Denn ich will dich von hinnen nehmen, während du in den Armen des Geliebten ruhst.«

»Mit ihm?«

»Nein – allein.«

»Das will ich nicht«, flüsterte das junge Weib.

»Und willst du's auch nicht, wenn ich dir sage, daß du doch in einer Stunde sterben müßtest?«

»In einer Stunde?«

»Ja, so ist es dir bestimmt. Aber dann wirst du allein sein und wirst deine Arme vergeblich nach dem Geliebten ausstrecken. Glaube nicht, daß du träumst; was ich dir sage, ist wahr, so jung du bist.«

Da schmiegte sie sich an den Geliebten und sagte: »Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben!«

Der Geliebte lächelte und sagte: »Was hast du denn, mein armes Kind?«

Da sprach der Engel des Todes: »Du wirst mir diese Stunde gern schenken, wenn ich dir sage, daß ich sie für eine deiner[317] Schwestern auf Erden brauche, die ebenso innig geliebt wird als du und die dahingehen soll, ohne es zu wissen!«

»Nein, ich gebe dir diese Stunde nicht«, erwiderte das junge Weib; »denn ich habe mich wohl gesehnt, in den Armen des Geliebten zu sterben, solang du mir fern warst, aber da ich dich vor mir sehe, will ich auch diese Stunde noch leben, und wär' es auch allein – und ohne Liebe!«

Da trug der Engel den Jüngling in die Lüfte und sprach zu ihm: »Nun bring' ich dich wieder heim.«

Den Jüngling aber faßte eine namenlose Verzweiflung, er klammerte sich mit beiden Armen an den Engel und rief: »Verlaß mich nicht! So kann ich nicht zurück! Die Fülle des Lebens ist ungeheuer, und irgendwo in der Welt muß diese einzige Stunde zu finden sein, die ich haben will und um die ich dich nochmals anflehe.«

Da erwiderte der Engel: »Es ist so, wie du sagst. Aber nun gibt es nur noch einen einzigen auf der Welt, der sie dir geben kann, und wenn der es nicht tut, so wird dich das elender machen als alle Enttäuschungen, die du bisher erfahren. Denn der eine bist du selbst, und die eine Stunde mußt du mit deinem ganzen Leben bezahlen.«

»So nimm es hin!« rief der Jüngling freudig aus.

»Höre mich an«, sprach der Engel. »Denn ich sage dir noch mehr. Das Leben, das dir bevorsteht, wird Not, Krankheit und Einsamkeit sein. Bist du bereit, es hinzugeben, so gehst du nach Ablauf einer Stunde mit der, die du liebst, dahin.«

»Ich danke dir, du gütiger Engel!« rief der Jüngling aus. »Nun ist mein Flehen erhört.«

In demselben Augenblick saß er wieder an dem Bette der geliebten Frau, hielt ihre Hand in der seinen und wollte ihr sagen, wie unendlich er sie liebte. Da sah er, wie sich ihre Lider schlössen, ihre Brust sich senkte. Er wartete eines neuen Blickes, eines neuen Hauches – doch es war vergeblich. Sie atmete nicht mehr, sie schaute nicht mehr – es war zu Ende. Da stürzte er in Verzweiflung an ihrem Bette zusammen und schrie auf: »Engel des Todes, warum hast du mich betrogen?«

Und der Engel, der nun zu Häupten des Bettes stand, sprach: »Armes Menschenkind! Glaubst du denn, daß es dir vergönnt ist, durch alle deine Liebe und durch allen deinen Schmerz hindurch in die Tiefen deiner Seele zu schauen, wo deine wahren Wünsche wohnen? Noch einmal wirst du mich sehen, da werde ich dich fragen, ob ich dich heute betrogen habe oder du dich selbst.«

Quelle: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 313-318. Erstdruck: Neue Freie Presse, Wien, 24. Dezember 1899. Lizenz: Gemeinfrei.