martedì 17 dicembre 2013

SKDP/11/002-1. § 11. Johann Wolfgang von Goethe: “Die gefährliche Wette”

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Johann Wolfgang von Goethe
Libero adattamento per finalità autodidattiche di testi e registrazioni di pubblico dominio tratti da Librivox. Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Projekt Gutenberg.de e registrazione da Librivox.org Serie: Sammlung kurzer deutscher Prosa 002/1. - Nostra numerazione del Brano: 11. Reader: ekyale / download  di “Die gefährliche Wette” (1).  Etext: Projek Gutenberg Spiegel.de/Goethe  - Dizionari: Dicios; Sansoni:.

Die gefährliche Wette
Erzählung aus Wilhelm Meisters Wanderjahre
(Geschrieben 1807/08)
Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)

Es ist bekannt, daß die Menschen, sobald es ihnen einigermaßen wohl und nach ihrem Sinne geht, alsobald nicht wissen, was sie vor Übermut anfangen sollen; und so hatten denn auch mutwillige Studenten die Gewohnheit, während der Ferien scharenweis das Land zu durchziehen und nach ihrer Art Suiten zu reißen, welche freilich nicht immer die besten Folgen hatten. Sie waren gar verschiedener Art, wie sie das Burschenleben zusammenführt und bindet. Ungleich von Geburt und Wohlhabenheit, Geist und Bildung, aber alle gesellig in einem heitern Sinne miteinander sich fortbewegend und treibend. Mich aber wählten sie oft zum Gesellen: denn wenn ich schwerere Lasten trug als einer von ihnen, so mußten sie mir denn auch den Ehrentitel eines großen Suitiers erteilen, und zwar hauptsächlich deshalb, weil ich seltener, aber desto kräftiger meine Possen trieb, wovon denn folgendes ein Zeugnis geben mag.

Wir hatten auf unseren Wanderungen ein angenehmes Bergdorf erreicht, das bei einer abgeschiedenen Lage den Vorteil einer Poststation und in großer Einsamkeit ein paar hübsche Mädchen zu Bewohnerinnen hatte. Man wollte ausruhen, die Zeit verschleudern, verliebeln, eine Welle wohlfeiler leben und deshalb desto mehr Geld vergeuden.

Es war gerade nach Tisch, als einige sich im erhöhten, andere im erniedrigten Zustand befanden. Die einen lagen und schliefen ihren Rausch aus; die andern hätten ihn gern auf irgendeine mutwillige Weise ausgelassen. Wir hatten ein paar große Zimmer im Seitenflügel nach dem Hof zu. Eine schöne Equipage, die mit vier Pferden hereinrasselte, zog uns an die Fenster. Die Bedienten sprangen vom Bock und halfen einem Herrn von stattlichem, vornehmem Ansehen heraus, der ungeachtet seiner Jahre noch rüstig genug auftrat. Seine große, wohlgebildete Nase fiel mir zuerst ins Gesicht, und ich weiß nicht, was für ein böser Geist mich anhauchte, so daß ich in einem Augenblick den tollsten Plan erfand und ihn, ohne weiter zu denken, sogleich auszuführen begann.

»Was dünkt euch von diesem Herrn?« fragte ich die Gesellschaft. – »Er sieht aus«, versetzte der eine, »als ob er nicht mit sich spaßen lasse.« – »Ja, ja«, sagte der andre, »er hat ganz das Ansehen so eines vornehmen Rührmichnichtan.« – »Und dessenungeachtet«, erwiderte ich ganz getrost, »was wettet ihr, ich will ihn bei der Nase zupfen, ohne daß mir deshalb etwas Übles widerfahre; ja ich will mir sogar dadurch einen gnädigen Herrn an ihm verdienen.«

»Wenn du es leistest«, sagte Raufbold, »so zahlt dir jeder einen Louisdor.« – »Kassieren Sie das Geld für mich ein«, rief ich aus; »auf Sie verlasse ich mich.« – »Ich möchte lieber einem Löwen ein Haar von der Schauze raufen«, sagte der Kleine. – »Ich habe keine Zeit zu verlieren«, versetzte ich und sprang die Treppe hinunter.

Bei dem ersten Anblick des Fremden hatte ich bemerkt, daß er einen sehr starken Bart hatte, und vermutete, daß keiner von seinen Leuten rasieren könne. Nun begegnete ich dem Kellner und fragte: »Hat der Fremde nicht nach einem Barbier gefragt?« – »Freilich!« versetzte der Kellner, »und es ist eine rechte Not. Der Kammerdiener des Herrn ist schon zwei Tage zurückgeblieben. Der Herr will seinen Bart absolut los sein, und unser einziger Barbier, wer weiß, wo er in die Nachbarschaft hingegangen.«

»So meldet mich an«, versetzte ich; »führt mich als Bartscherer bei dem Herrn nur ein, und Ihr werdet Ehre mit mir einlegen.« Ich nahm das Rasierzeug, das ich im Hause fand, und folgte dem Kellner.

Der alte Herr empfing mich mit großer Gravität, besah mich von oben bis unten, als ob er meine Geschicklichkeit aus mir herausphysiognomieren wollte. »Versteht Er Sein Handwerk?« sagte er zu mir.

»Ich suche meinesgleichen«, versetzte ich, »ohne mich zu rühmen.« Auch war ich meiner Sache gewiß: denn ich hatte früh die edle Kunst getrieben und war besonders deswegen berühmt, weil ich mit der linken Hand rasierte.

Das Zimmer, in welchem der Herr seine Toilette machte, ging nach dem Hof und war gerade so gelegen, daß unsere Freunde füglich hereinsehen konnten, besonders wenn die Fenster offen waren. An gehöriger Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das Tuch vorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und sagte: »Exzellenz! mir ist bei Ausübung meiner Kunst das Besondere vorgekommen, daß ich die gemeinen Leute besser und zu mehrerer Zufriedenheit rasiert habe als die Vornehmen. Darüber habe ich denn lange nachgedacht und die Ursache bald da, bald dort gesucht, endlich aber gefunden, daß ich meine Sache in freier Luft viel besser mache als in verschlossenen Zimmern. Wollten Ew. Exzellenz deshalb erlauben, daß ich die Fenster aufmache, so würden Sie den Effekt zu eigener Zufriedenheit gar bald empfinden.« Er gab es zu, ich öffnete das Fenster, gab meinen Freunden einen Wink und fing an, den starken Bart mit großer Anmut einzuseifen. Ebenso behend und leicht strich ich das Stoppelfeld vom Boden weg, wobei ich nicht versäumte, als es an die Oberlippe kam, meinen Gönner bei der Nase zu fassen und sie merklich herüber und hinüber zu biegen, wobei ich mich so zu stellen wußte, daß die Wettenden zu ihrem größten Vergnügen erkennen und bekennen mußten, ihre Seite habe verloren.

Sehr stattlich bewegte sich der alte Herr gegen den Spiegel: man sah, daß er sich mit einiger Gefälligkeit betrachtete, und wirklich, es war ein sehr schöner Mann. Dann wendete er sich zu mir mit einem feurigen schwarzen, aber freundlichen Blick und sagte: »Er verdient, mein Freund, vor vielen seinesgleichen gelobt zu werden, denn ich bemerke an Ihm weit weniger Unarten als an andern. So fährt Er nicht zwei-, dreimal über dieselbige Stelle, sondern es ist mit einem Strich getan; auch streicht Er nicht, wie mehrere tun, sein Schermesser in der flachen Hand ab und führt den Unrat nicht der Person über die Nase. Besonders aber ist Seine Geschicklichkeit der linken Hand zu bewundern. Hier ist etwas für Seine Mühe«, fuhr er fort, indem er mir einen Gulden reichte. »Nur eines merk' Er sich: daß man Leute von Stande nicht bei der Nase faßt. Wird Er diese bäurische Sitte künftig vermeiden, so kann Er wohl noch in der Welt sein Glück machen.«

Ich verneigte mich tief, versprach alles mögliche, bat ihn, bei allenfallsiger Rückkehr mich wieder zu beehren, und eilte, was ich konnte, zu unseren jungen Gesellen, die mir zuletzt ziemlich Angst gemacht hatten. Denn sie verführten ein solches Gelächter und ein solches Geschrei, sprangen wie toll in der Stube herum, klatschten und riefen, weckten die Schlafenden und erzählten die Begebenheit immer mit neuem Lachen und Toben, daß ich selbst, als ich ins Zimmer trat, die Fenster vor allen Dingen zumachte und sie um Gottes willen bat, ruhig zu sein, endlich aber mitlachen mußte über das Aussehen einer närrischen Handlung, die ich mit so vielem Ernste durchgeführt hatte.

Als nach einiger Zeit sich die tobenden Wellen des Lachens einigermaßen gelegt hatten, hielt ich mich für glücklich; die Goldstücke hatte ich in der Tasche und den wohlverdienten Gulden dazu, und ich hielt mich für ganz wohl ausgestattet, welches mir um so erwünschter war, als die Gesellschaft beschlossen hatte, des andern Tages auseinanderzugehen. Aber uns war nicht bestimmt, mit Zucht und Ordnung zu scheiden. Die Geschichte war zu reizend, als daß man sie hätte bei sich behalten können, so sehr ich auch gebeten und beschworen hatte, nur bis zur Abreise des alten Herrn reinen Mund zu halten. Einer bei uns, der Fahrige genannt, hatte ein Liebesverständnis mit der Tochter des Hauses. Sie kamen zusammen, und Gott weiß, ob er sie nicht besser zu unterhalten wußte, genug, er erzählt ihr den Spaß, und so wollten sie sich nun zusammen totlachen. Dabei blieb es nicht, sondern das Mädchen brachte die Märe lachend weiter, und so mochte sie endlich noch kurz vor Schlafengehen an den alten Herrn gelangen.

Wir saßen ruhiger als sonst: denn es war den Tag über genug getobt worden, als auf einmal der kleine Kellner, der uns sehr zugetan war, hereinsprang und rief: »Rettet euch, man wird euch totschlagen!« Wir fuhren auf und wollten mehr wissen; er aber war schon zur Türe wieder hinaus. Ich sprang auf und schob den Nachtriegel vor; schon aber hörten wir an der Türe pochen und schlagen, ja wir glaubten zu hören, daß sie durch eine Axt gespalten werde. Maschinenmäßig zogen wir uns ins zweite Zimmer zurück, alle waren verstummt: »Wir sind verraten«, rief ich aus, »der Teufel hat uns bei der Nase!«

Raufbold griff nach seinem Degen, ich zeigte hier abermals meine Riesenkraft und schob ohne Beihülfe eine schwere Kommode vor die Türe, die glücklicherweise hereinwärts ging. Doch hörten wir schon das Gepolter im Vorzimmer und die heftigsten Schläge an unsere Türe.

Raufbold schien entschieden, sich zu verteidigen, wiederholt aber rief ich ihm und den übrigen zu: »Rettet euch! hier sind Schläge zu fürchten nicht allein, aber Beschimpfung, das Schlimmere für den Edelgebornen.« Das Mädchen stürzte herein, dieselbe, die uns verraten hatte, nun verzweifelnd, ihren Liebhaber in Todesgefahr zu wissen. »Fort, fort!« rief sie und faßte ihn an; »fort, fort! ich bring' euch über Böden, Scheunen und Gänge. Kommt alle, der letzte zieht die Leiter nach.«

Alles stürzte nun zur Hintertüre hinaus; ich hob noch einen Koffer auf die Kiste, um die schon hereinbrechenden Füllungen der belagerten Türe zurückzuschieben und festzuhalten. Aber meine Beharrlichkeit, mein Trutz wollte mir verderblich werden.

Als ich den übrigen nachzueilen rannte, fand ich die Leiter schon aufgezogen und sah alle Hoffnung, mich zu retten, gänzlich versperrt. Da steh' ich nun, ich, der eigentliche Verbrecher, der ich mit heiler Haut, mit ganzen Knochen zu entrinnen schon aufgab. Und wer weiß – doch laßt mich immer dort in Gedanken stehen, da ich jetzt hier gegenwärtig euch das Märchen vorerzählen kann. Nur vernehmt noch, daß diese verwegene Suite sich in schlechte Folgen verlor.

Der alte Herr, tief gekränkt von Verhöhnung ohne Rache, zog sich's zu Gemüte, und man behauptet, dieses Ereignis habe seinen Tod zur Folge gehabt, wo nicht unmittelbar, doch mitwirkend. Sein Sohn, den Tätern auf die Spur zu gelangen trachtend, erfuhr unglücklicherweise die Teilnahme Raufbolds, und erst nach Jahren hierüber ganz klar, forderte er diesen heraus, und eine Wunde, ihn, den schönen Mann, entstellend, ward ärgerlich für das ganze Leben. Auch seinem Gegner verdarb dieser Handel einige schöne Jahre, durch zufällig sich anschließende Ereignisse.

Da nun jede Fabel eigentlich etwas lehren soll, so ist euch allen, wohin die gegenwärtige gemeint sei, wohl überklar und deutlich.

Quellenangabe: Johann Wolfgang von Goethe - year: 1989 - publisher: Philipp Reclam jun. address    Stuttgart title:    Die gefährliche Wette - pages 293-299 - firstpub: 1809.
→  SKDP/12/002-2.

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